von Antonia Groß auf berliner-zeitung.de

Mit der Istanbul-Konvention bekennen sich Regierungen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen. Doch deutsches Recht verhindert den Schutz aller Betroffenen.

Foto: Berliner Zeitung/Volkmar Otto – Die Frauen vom International Women* Space kämpfen gegen die mehrfache Diskriminierung geflüchteter Frauen. Hier in der Ohlauer Straße trafen sie sich zum ersten Mal.

Es beginnt schleichend. Oft mit verbalen Angriffen. Drohungen. Eingriffen in die Privatsphäre. Verboten und Kontrolle. Stalking, Nötigung, Schlägen, Vergewaltigung. Die Liste lässt sich weiterführen. Sie erinnert an die bittere Realität: Gewalt gegen Frauen existiert, jeden Tag. Diese Gewalt ist geschlechtsspezifisch. Sie trifft Frauen, weil sie Frauen sind. Und sie trifft geflüchtete Frauen besonders hart.

Wer die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern will, muss Gewalt bekämpfen. Auf dem Papier erkennen das jene Regierungen an, die die sogenannte Istanbul-Konvention (IK) zur „Verhütung und Bekämpfung“ von Gewalt gegen Frauen ratifiziert haben. Deutschland tat das 2018. „Die Konvention hat zumindest den Anspruch, alle Frauen zu schützen. Auch die, die prekären Bedingungen ausgesetzt sind“, sagt Delal Atmaca. Sie ist Geschäftsführerin des Dachverbands der Migrantinnenorganisationen (DaMigra).

Opfer von häuslicher Gewalt sind zu über 80 Prozent Frauen, weltweit haben etwa 35 Prozent schon einmal körperliche und sexualisierte Übergriffe erlebt. Es sind Angriffe auf Körper und Psyche. Hinzu kommt: Es ist ein enormer Kraftakt, die Gewaltspirale zu verlassen. Oft weiß nicht einmal die engste Freundin Bescheid.

Mangelnde Daten machen das Problem unsichtbar

Und es gibt in der Tat ein Netz aus Hilfsangeboten. Doch für manche bedrohte Frau ist es nicht engmaschig genug. Etwa, wenn ihr Aufenthaltstitel vom Ehemann abhängt: Wer dem Partner folgt oder erst in der Bundesrepublik heiratet, ist an ihn gebunden. Artikel 59 der IK fordert daher das Recht auf einen eigenständigen Aufenthalt – unabhängig von Dauer der Ehe oder Beziehung.

„Die Konvention ist da sehr eindeutig“, sagt Atmaca, „doch die deutsche Rechtspraxis ist genau das Gegenteil.“ Die Bundesregierung hat zwei Absätze des Artikels 59 nur unter Vorbehalt gebilligt: Sie sollen eine Ausweisung bei Trennung verhindern und die unabhängige Verlängerung des Aufenthalts ermöglichen. Dass Deutschland zögert, heißt also für Betroffene: Wenn sie sich trennen, gefährden sie ihr Bleiberecht. Stattdessen halten viele die Gewalt aus. „Das trägt dazu bei, dass eben diese Frauen nicht geschützt sind“, sagt Atmaca. Daran tragen auch andere Behörden Mitschuld.

Das Schlimmste: die permanente Angst vor der Abschiebung

Aussagekräftige Erhebungen zur Situation geflüchteter Frauen gibt es kaum. Das Bundeskriminalamt erfasst zwar partnerschaftliche Gewalt, aber nur nach Nationalität, nicht nach Aufenthaltsstatus. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dokumentiert, wie viele Personen wegen geschlechtsspezifischer Gewalt Asyl erhalten, unterscheidet aber nicht nach Geschlecht. So bürokratisch, so intransparent. Die mangelhafte Datenlage macht das Problem unsichtbar und entzieht konkreten Hilfsangeboten die Grundlage. „Dahinter steckt mangelndes politisches Interesse“, sagt Jessica Mosbahi von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale.

Die Polizei? „Nicht da für dich.“

Wegen der eigenen Migrationsbiografien und der engen Zusammenarbeit mit Betroffenen weiß das Team des IWS, was mehrfache Betroffenheit bedeutet. Sie kennen Frauen, die ihr Land wegen häuslicher Gewalt verlassen haben, traumatisierende, oft sexualisierte Übergriffe auf der Flucht erlebten und unter den psychischen Folgen der Erfahrungen sowie mangelnder Privatsphäre in Sammelunterkünften leiden. Dazu kommen der erschwerte Zugang zum Arbeitsmarkt, sprachliche Barrieren und Rassismus.

Was ist mit der Polizei? „Nicht da für dich“, sagt Garcia Bergt. Sie berichtet: Eine iranische Freundin habe die Polizei kontaktiert, weil ihr deutscher Freund sie verletzte und verfolgte. Am Telefon sagte der Beamte in perfektem Englisch, sie solle Deutsch sprechen. Auch Atmaca kennt diese Geschichten: „Wo Sie herkommen, ist das doch normal“ sei nur eine Variante, die hilfesuchende Frauen von Beamten hörten. Das System krankt an allen Enden.

Einer Gewaltspirale zu entkommen, ist schwer, die Situation oft komplex. Wenn dann institutionelle Hilfe versagt, bleibt wenig Spielraum. Migrantische Frauen und Vereine sind sich deshalb oft selbst die größte Stütze, organisieren Rechtshilfe, sammeln ihre Geschichten und vernetzen sich. So veröffentlicht DaMigra an diesem Mittwoch, dem Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, einen eigenen „Schattenbericht“ zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Der IWS ruft um 18 Uhr zum Protest vor dem Auswärtigen Amt auf. Denn eines wollen beide Vereine nicht erlauben: eine Gesellschaft, die wegschaut.