Die Zustände vor Ort
Es ist ein Ort im Niemandsland. Mitten im Wald, ein Bus zum nächsten Ort kommt nur alle 2 Stunden tagsüber, ab 5 Uhr nachmittags und am Wochenende gar keiner. Rita hat dort 7 Jahre lang gelebt. Es gibt keinen Kontakt zu Deutschen, ausser den Angestellten. Geflüchtete aus aller Welt, die viele verschiedenen Sprachen sprechen leben dort wie in einem Gefängnis, ohne soziale Beziehungen in diesem Land, in dem sie sind. In großer Unsicherheit über ihre Zukunft. Man weiß aus wissenschaftlichen Studien, dass solche Bedingungen viele schlimme Auswirkungen auf die dort lebenden Menschen haben: Verzweiflung, Depressionen, Selbstmorde, Aggressivität gegen sich selbst und andere. Jetzt nach dem Mord an Rita haben wir dort vor allem große Angst gespürt.
Frauen trauen sich nicht mehr abends weg zu gehen bzw abends allein zurück ins Heim zu gehen, weil sie zu Fuß lange Strecken auf der Straße oder durch den Wald laufen müssen, auf dem sie keinen Schutz haben. Das gilt für alle so weit abgelegenen Lager. Frauen von dort können dann z.B. nicht zu Treffen mit uns nach Berlin kommen. Die Frauen können nur unter sehr großen Schwierigkeiten mit uns oder anderen Strukturen außerhalb des Lagers in Kontakt treten, umgekehrt wird es aber uns sehr schwer gemacht in die Lager zu kommen. Sie werden abgeriegelt wie Gefängnisse, oft wird uns nicht erlaubt sie zu betreten. Und wenn wir es schaffen, kommen die Leitung oder die Sicherheitsleute und kontrollieren, was wir sagen, wer wir sind, was wir wollen, um uns einzuschüchtern. Für die Geflüchteten ist es fast unmöglich, unter solchen Bedingungen wirklich zu sagen, was sie denken, was sie fühlen, was in diesen Lagern passiert. Sie befürchten, dass alles, was sie sagen, Konsequenzen für ihr Asylverfahren hat und sie deshalb abgelehnt werden können.
Was Freund*innen über Rita gesagt haben
Sie war schüchtern. Und sie litt darunter, dass sie schon 7 Jahre lang auf ihren Asylbescheid wartete, den sie immer noch nicht hatte. Einige von uns kannten Rita schon aus der Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt als sie nach Deutschland kam. Sie lebten dort zusammen. Sie wußte nicht, wie die Zukunft für sie und ihre beiden kleinen Kinder (4 und 2 Jahre alt) aussehen würde. Und sie hatte keinerlei Möglichkeit sich darauf vorzubereiten.
Was wir über die Ermittlungen gelernt haben
Die Polizei hat anscheinend erst nach 2 Monaten angefangen wirklich nach ihr zu suchen. Sie behauptet zwar etwas anderes, aber wie ist es möglich, erst so viel später ihre Überreste 200 Meter vom Lager entfernt zu finden? Unsere Erfahrungen sprechen für vor allem zwei strukturelle Probleme: Rassismus und Misogynie. Bei beiden geht es um Gewalt und Machtverhältnisse. Wenn eine weiße deutsche Frau und Mutter zwei kleiner Kinder verschwunden wäre, hätte die Polizei viel schneller angefangen zu suchen, zumindest nicht erst nach 2 Monaten, die Medien hätten davon berichtet, es hätte ein öffentliches Interesse und Mitgefühl gegeben. Es gibt 2 kleine Kinder, die auf ihre Mutter warteten. Was gibt es Dringlicheres, als diese schreckliche Situation aufzuklären? Nachdem Rita verschwunden war mussten die Kinder im selben Raum warten und bis heute da leben. Niemand fühlte sich für sie verantwortlich außer anderen Flüchtlingsfrauen. Wir machen die Erfahrung, dass Polizei und Justiz es oft mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn es um Geflüchtete geht. Das erinnert uns natürlich auch an Oury Jalloh, der in Dessau in seiner Zelle verbrannte. Das andere zentrale Problem ist, dass die Lager/Heime rechtsfreie Räume sind, in denen schützende Rechte für Menschen nicht gelten. Das betrifft besonders die, die durch diese Strukturen am schwächsten gemacht werden, nämlich die Frauen und Kinder. In Deutschland hat die Frauenbewegung dafür gekämpft, dass Frauen besonderen Schutz bekommen gegen männliche Gewalt. z.B. die räumliche Trennung von gewalttätigen Männern, Frauenhäuser, Beratungen für Frauen, etc. In den Lagern, die durch ihr Wesen darauf ausgelegt sind, Gewalt zu erzeugen und zu reproduzieren, gilt nichts davon. Männer, Frauen und Kinder, die größtenteils traumatisiert sind, Gewalt erlebt haben und weiter erleben, leben nebeneinander, ohne Privatsphäre, ohne Schutz. Die Lagerleitung und Polizei wollen die Gewalt innerhalb der Heime -die sie größtenteils selbst kreieren- oft einfach nicht zur Kenntnis nehmen, solange sie nicht direkt gegen sie selbst gerichtet ist. Lager sind einfach rechtsfrei. Rita hatte der Heimleitung schon vor einiger Zeit gesagt, dass sie sich von einem Mann bedroht fühlte, der im Zimmer gegenüber von ihr wohnte. Aber die Heimleitung wischte das einfach beiseite. So ist es oft, dass Gewalt gegen Frauen nicht geglaubt oder ernst genommen wird, weil es als unwichtig erachten wird. Das betrifft genauso Polizisten, Sicherheitsmänner, die in den Lagern arbeiten, Heimleiter oder andere Männer, die über ihre Funktion eine besondere Macht besitzen.
Und es gibt eine Rechtsgrundlage in Deutschland; das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“(Istanbul-Konvention), das am 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten ist. Die Konvention ist damit geltendes Recht, ein Recht, das in der Theorie für alle Frauen in Deutschland gilt. Der Staat hat sich also verpflichtet Gewalt gegen Frauen in Deutschland zu bekämpfen und ihr vorzubeugen. Aber wie wir täglich sehen gilt dieses Recht nicht für geflüchtete Frauen, deren Lebenssituation dadurch dass sie in Lagern/Heimen quasi weggesperrt sind per se schon gewaltvoll ist. Das ist was wir meinen, wenn wir sagen, dass diese isolierten Lager rechtsfreie Räume sind und diese Menschenrechte/Rechte nicht für geflüchtete Menschen gelten.
Andere Aspekte des Falles
Wir müssen immer die Bilder, die uns durch die Medien in der Öffentlichkeit präsentiert werden und die Funktion die sie haben (sollen) hinterfragen. Die Berichterstattung zeichnet ein sehr einseitiges Bild von geflüchteten Menschen. Das wird vor allem daran klar, wie über die Ankerzentren berichtet wurde und über Gewalt gegen Frauen. So wird ein Bild von nicht-weißen Menschen (vor allem Männern) gezeichnet, dass sie als “aggressiv” darstellt, und man sich deshalb vor ihnen schützen müsse. Dahinter sehen wir das politische Interesse, uns zu entmenschlichen (in dem Maße, dass sich andere nicht mit uns solidarisieren) um uns leichter abschieben zu können, um Angriffe auf uns zu rechtfertigen, um uns in isolierten Lagern zu halten. Denn solche Bedingungen werden durch weitere Gesetzesverschärfungen wie z.B. das sogenannte Geordnete Rückkehr Gesetz der Bundesregierung weiter verschärft.
Wir dürfen nicht darauf reinfallen Gewalt gegen Frauen als ein gesellschaftliches Problem zu sehen. Wie wir durch die BKA-Statistik von 2018 wissen wird alle 3 Tage in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner umgebracht. Gewalt gegen Frauen ist ein globales Problem, Misogynie ein globales System, das nicht auf bestimmte nicht-weiße Gruppen abgeschoben werden kann.
Wir haben keine vergleichbaren Erkenntnisse aus Statistiken oder Untersuchungen über Übergriffe auf geflüchtete Frauen, sei es durch Sicherheitspersonal, Heimleiter, Sozialarbeiter, Mitbewohner oder auch Polizei, anscheinend werden solche Daten nicht erhoben. Wie kann das sein?
IW*S
International Women* Space is a feminist, anti-racist political group in Berlin with refugee and migrant women* and non-migrant women* as members.